Vaterland? Gedanken zu 100 Jahre Volksabstimmung in Kärnten

„ … Wie oft habe ich’s den Helden und Heldinnen der Geschichte nachempfunden, welch erhebendes Gefühl es sein muss in den Krieg zu ziehen. Dürfte ich nur mit – an deiner Seite fechten, fallen oder siegen!“
„Brav gesprochen mein Weibchen! – aber Unsinn. Dein Platz ist hier an der Wiege des Kleinen, in dem auch ein Vaterlandsverteidiger groß gezogen werden soll. Dein Platz ist an unserem häuslichen Herd …
– Bertha von Suttner Die Waffen nieder

Warum sagen wir Deutschen „Mutti“
Von München bis Helgoland
‚Ach Mutti, Mutti, Mutti
Was heißt „Vaterland“?
– Funny van Dannen Vaterland

Drei Frauen ziehen einen Pflug übers Feld. Sie haben sich selbst ins Geschirr eingespannt, ziehen das schwere Gerät, mit bloßer Muskel, – und Willenskraft. Der Titel der Fotografie: Die Frauen Frankreichs tragen die Bürde. Eine Französische Propaganda-Postkarte aus dem 1. Weltkrieg.

Doch das Bild war in Europa überall dasselbe – Frauen in Männerberufen. Frauen die in Fabriken schufteten und auf Feldern. Sie stellen Munition für die Kriegsmaschinen her und Brot für die Münder an der Front und in der Heimat. Plötzlich durften und sollten Frauen Berufe ausüben, die zuvor in der Gesellschaft nur Männern vorbehalten waren.

Selbstverständlich wurde – von den Männern – vorausgesetzt, dass diese Ausnahmesituation mit Kriegsende beendet sein würde. Die arbeitende Frau galt als Ausnahme in Zeiten der Not: Wenn der Krieg vorbei wäre und die Männer zurückkommen, hätten die Frauen wieder ihre angestammte Rolle als Hausfrau und Mutter zu übernehmen. Die sie ja auch während der Kriegszeit erfüllt hatten – neben der Versorgung mit Kriegsgerät und Nahrungsmitteln.

Als 1918 der Krieg beendet wurde, endete er nicht in ganz Europa. Nicht alle Flammen, die unseren Kontinent verzehrt hatten, waren zur Gänze verloschen. In Kärnten war der Brand noch nicht vorbei, es ging weiter. Als es an die Volksabstimmung ging, hatten die Kärntnerinnen bereits einen Weltkrieg hinter sich und den Kärntner Abwehrkampf. Sechs Jahre, in denen sie das Leben zu Hause organisierten und aufrecht erhielten. Sie übten „Männerberufe“ aus, die ihre Familien ernährten, während sich die Männer für Gott, König und Vaterland gegenseitig an die Gurgel gingen.

Männer werden zu Helden, Frauen … nun ja … bleiben Frauen. Das war zumindest so vorgesehen, das war der – männliche – Plan. Nur der ging nicht auf. Er scheiterte am Widerstand der Kämpferinnen für die Rechte der Arbeiter, er scheiterte an der aufkeimenden Frauenbewegung, er scheiterte am Wunsch nach Demokratie, nach Teilhabe, nach dem Wahlrecht. Ohne dieses Recht hätten die Frauen Kärntens am Tag der Volksabstimmung nicht ihre Stimme abgeben können.

Man stelle sich das vor, die Menschen, die einer Nation, einem Land, einer Gesellschaft die Existenz geschert haben, sind von Mitbestimmung abgeschnitten – aufgrund ihres Geschlechtes. Es wird Ihnen nicht zugetraut eine politische Meinung zu haben, eine politische Vorstellung, weil sie Frauen sind. Dieselben Frauen, die nur mit ihrem Willen und ihrer Kraft einen Pflug übers Feld ziehen …

Die Zeiten ändern sich. Wir haben Frauen in Spitzenpositionen, wir haben eine Bundesregierung mit der höchsten Frauenquote aller Zeiten, jeder Frau steht jede Karriere offen, wenn nur die Leistung stimmt. Alles wird gut, alles wird besser …

Dann kommt 2020 und Corona. Eine erbarmungslose Vergrößerungslupe richtet sich auf unsere Gesellschaft und sehr schnell wird klar – der Kampf um Gerechtigkeit und Gleichheit ist noch lange nicht vorbei.

Wir bedanken uns bei SystemerhalterInnen, klatschen Beifall und sagen Danke! Was ist vom Dank geblieben? Ab, zurück, in eure Rollen! Ob Mutter oder Hausfrau, Pflegerin oder Kassiererin im Supermarkt – alles beim Alten?

Haben wir so schnell vergessen, haben wir so schnell verdrängt? Krisen und Kriege sind keine gesellschaftlichen Innovationstreiber, sie sind Verhinderer, regressive Kräfte. Im 1. Weltkrieg hielt die Frauen das System zu Hause am Leben, in der Corona-Krise waren es wieder überwiegend Frauen, die neben ihrem Job auch den Haushalt schmissen oder in Risikoberufsgruppen beschäftigt waren.

Wo ist der Dank? Wo ist die Unterstützung für berufstätige, alleinerziehende Mütter? Wo die Gehaltserhöhungen für die Pflegerinnen und Supermarktangestellte, wo ist endlich die Lohngerechtigkeit zwischen Mann und Frau?

Nach dem 1. Weltkrieg – Frauenwahlrecht hin oder – wurde alles getan um, „alles beim Alten“ zu belassen, was die Geschlechterrollen betrifft. Feminismus wurde als Hysterie verunglimpft, weibliche Sexualität als widernatürlich, politische Vertretung war immer noch Männersache. Mit einem Wort: Angst ging um in der männlich dominierten Gesellschaft, eine Angst die die Tür öffnete für die Männlichkeitskulte und die Frauenverachtung, wie sie die Nationalsozialisten später zelebrierten.

Auch die Corona-Krise hat regressives Potenzial. Die grassierende Arbeitslosigkeit bei bestehender Lohnungleichheit, begünstigt das Modell: Frau zu Hause, Mann bei der Arbeit – vor allem weil keine aktiven Schritte dagegen unternommen werden. Lassen wir nicht zu, dass wir aus der Krise heraus in alte Rollenbilder fallen, sondern nutzen wir die Möglichkeit, aus der Krise heraus neue Möglichkeiten zu öffnen.

So feiern wir dieses Jahr „100 Jahre Kärntner Volksabstimmung“ – und die Feiern werden sich nicht darin erstrecken, Fahnen zu schwenken und Salutschüsse abzugeben. Sie werden dazu genutzt ein differenzierteres, vielseitigeres und aufschlussreicheres Bild unserer Geschichte zu zeichnen, als wir es bisher getan haben.

Das ist wichtig. Denn sonst verharrt unsere Geschichte in Schwarz-Weiß Bildern, in Gut und Böse, in Mann und Frau – und nichts dazwischen. Sonst versammeln wir uns auch die nächsten 100 Jahre, um den heldenhaften Kämpfern zu gedenken. Um uns zu feiern, für einen Mut, der nicht der unsere war, sondern der unsere Vorväter und Vormütter. Und der sich auf viele Ebenen erstreckte, nicht alleine im Schützengraben.

Nehmen wir dieses Jubiläum als Erinnerung und Mahnung, nicht die alten Fehler zu wiederholen. Nicht aus Angst vor dem nächsten Schritt, zwei zurückgehen. Wir müssen mit derselben Achtsamkeit, die wir unserer Geschichte zuwenden unsere Gegenwart betrachten. Es braucht noch immer mehr Gerechtigkeit und es wird immer mehr brauchen – denn jeder Erfolg zieht ganz selbstverständlich auch mehr Arbeit nach sich. Gleichheit ist kein abgeschlossener Prozess und wird es nie sein, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Und in jedem Moment, in dem wir aufhören, nach vorne zu streben, werden wir zurückgedrängt.

Apropos: 19 Frauen starben im Abwehrkampf. Wo sind ihre Denkmäler, wo die Straßen die nach ihnen benannt sind?

Ana Blatnik, 26. Juni 2020

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